DIE RHEINPFALZ:
(Kritik von Rainer Henn)
Mit dem 15. Kabarettistischen Aschermittwoch landeten die Untiere mit dem Künstler-Ehepaar Marina Tamassy und Wolfgang Marschall als Leitwolf im SWR-Studio einen großen Coup: Die Gäste aus Wien (Albin Paulus) und Hamburg (Autorin Ella Carina Werner) schlugen ein. Und die Wahl-Nachlese legte den Finger in so manche Wunde.
Wolfgang Marschalls Wahlanalyse entlarvte regionale Schönredner und Ignoranten, die sich bislang im „Reich der Mitte“ wähnten. Gut die Hälfte der Jungwähler hatte bisherige Randparteien links und rechts gewählt, mit 25,9 Prozent sei die AfD laut Marschall keine Randerscheinung mehr. Lautern sieht er als Hochburg der AfD mit Spitzenwerten in Rheinland-Pfalz, im Gegensatz zur kriselnden SPD mit nur 20,6 Prozent der jeweiligen Zweitstimme.
Fehlende Schwarmintelligenz
Allerdings war dieses Wahlverhalten Marschall nicht geheuer,
er hielt nicht nur den Politikern, sondern auch den Wählern den Spiegel vor und warf diesen fehlende Schwarmintelligenz und stattdessen Geheule im Wolfsrudel vor. Ohnehin hatte das Programm nicht nur soziologische, sondern auch ideologische Fragen angerissen und somit einen philosophischen Tiefgang. Die Frage „Was wären die Großen ohne die Kleinen“ hat mehr Brisanz denn je und dies wurde mit Latinklängen der Hausband musikalisch aufgegriffen. Zuerst mit Samba und Tango, danach gab Tamássy als Wut- und Mutbürgerin Berta dem Ganzen in einer Rockballade Zunder. Überhaupt hatte der musikalische Teil dank Ausnahmepianist Martin Preiser und Saxophonist Helmut Engelhardt entscheidenden Anteil am Gelingen des Abends. Es entstand eine wunderbare Balance zwischen Wort und Ton sowie zwischen Unterhaltung und Tiefgang. Preiser verstand seine Rolle nicht nur als Akkordfüller und Lückenbüßer oder Begleiter, sondern steuerte viele melodische Impulse und smarte Überleitungen bei. Engelhardt griff den jeweiligen Tonfall gekonnt auf und Marschall brachte seinen klaren rhythmischen Impuls souverän und stilgerecht ein. Inhaltlich wurde die Entscheidung des Individuums zwischen Querdenker oder Opportunist zur Gretchenfrage. Es gelang auch der Spagat zwischen Denkanstoß und (musikalischer) Unterhaltung auf hohem Niveau: Als Tausendsassa und Garant für spektakuläre Erlebnisse ausgefallener Art erwies sich der Multi-Instrumentalist Albin Paulus. Geboren in Braunschweig und nun in Wien lebend fing er für seine Vortragsfolgen die verschiedensten folkloristischen Idiome ein: In einer Art Wiener Melange brachte er schottisch-irisches Kolorit auf dem Dudelsack mit alpenländischem Jodler zusammen und kreierte zwischen Kunst und Klamauk eine eigene Musiksprache: schrill, schräg aber sehr gekonnt und im polyrhythmischen Wirbel werden kleine Maultrommeln und Löffel zu einem Schlagwerk und es entstehen immer wieder überraschende Momente. Wie etwa der Einsatz der selbst gefertigten Rohrflöten, mehrstimmig gleichzeitig gespielt. Im Kontrast zum Bühnenspektakel von Paulus schlug Ella Carina Werner leise Töne an: Sie fragt sich als 40-Jährige selbstironisch: Halbzeit oder Herbstzeit? Steht ihr die Welt (noch) offen oder sind schon Wege verbaut? Ein weiterer Text wirkte wie ein Psychogramm in einer sensiblen Mutter-Tochter-Beziehung, nicht nur tiefenpsychologisch beleuchtet, sondern auch betrachtet vor dem Hintergrund von Kaltem Krieg und Wirtschaftswunder. Nach der Pause hätte das Thema „Besuch beim Frauenarzt“ zu Drastik verführen können. Werner schaffte es aber, in dezenten humoristischen Anspielungen das heikle Vertrauensverhältnis zwischen Patientin und Arzt subtil und doch amüsant zu behandeln. Marschalls Heimatstadt wird 2026 ihr 750-jähriges Jubiläum und dies mit 750.000 Euro feiern. Da darf – so Marschall – von einer Wiederholung des Sommermärchens wie bei der WM 2006 geträumt werden. Mit Slogans wie „Eine Stadt blüht auf“ von der Gartenschau fand er eine passende Analogie zur Gestaltung der neuen versiegelten Stadtmitte: Die soll durch Pflanzenkübel entlang der Fruchthalle ökologisch belebt werden – sofern man an den Sinn glaube.
